„Sag so etwas niemals zu jemanden zu Hause in Deutschland. Der glaubt sonst, bei uns sei der Feudalismus auferstanden.“ Auf seine Frage während eines morgendlichen Telefonats, wie es mir so früh denn gehe, hatte ich nämlich geantwortet: „Oh, es wird ein ganz normaler, furchtbarer Tag. Unsere Maid hat mir das morgendliche Rührei aufs Hemd geschüttet hat und der Fahrer findet gerade jedes verfügbare Schlagloch und prüft im Rückspiegel, wie oft er es schafft, mich mit dem Kopf an den Autohimmel zu treiben!“
Mein Freund hatte recht. Wer, außer den Geisens oder beruflich zu abendlichen Alkoholexzessen verpflichteten Landräten und Sparkassenvorständen, hat heute in Deutschland noch einen Fahrer? Müsste mein Klagen im heimischen Deutschland also nicht ganz bestimmt als arrogantes Wohlstandsgeprolle verstanden werden?
Dabei waren meine Gründe, mir in Asien einen Fahrer zu leisten, gänzlich frei von Luxusüberlegungen. Spätestens als ich nämlich einmal als Selbstfahrer einen Polizisten mitsamt seinem Dienstmoped auf meiner Kühlerhaube spazieren gefahren habe (er war bei roter Ampel in die Kreuzung gefahren und rechnete nicht mit meiner deutschen Respektlosigkeit gegenüber Amtspersonen) hatte ich eines lernen müssen: Meine thailändischen Sprachkenntnisse sind perfekt, wenn es darum geht, mich durch sie in Schwierigkeiten zu bringen. Alleine, sie sind völlig unzureichend, um mich aus Schwierigkeiten jedweder Art wieder herauszureden. Hierfür half alleine ein großzügiges Schmerzensgeld an Ort und Stelle.
Seitdem habe ich einen Fahrer. Soll der sich doch mit seinen Landsleuten herumstreiten, während ich gelassen auf dem Rücksitz meines Honda Accord ein paar Telefonate führe!
Aber alles hat seinen Preis. Besonders der „Luxus“ eines Fahrers. Das merkt man zuerst, wenn man wieder einmal sicher ist, dass das Genie am Steuer (es hat ja einen Führerschein) sich wieder einmal verfahren hat. Da hilft kein Betteln, kein Drohen und kein sonstiger Korrekturversuch vom Rücksitz aus: der Herr der Mobilität schalten seinen Tunnelblick-Modus ein und fährt weiter und weiter in die falsche Richtung – darauf hoffend, irgendwann schon etwas sehen, dass ihn die Erinnerung an den rechten Fahrweg wiederfinden lässt.
Im günstigsten Fall gelingt dies auch nach etwa 30 Minuten „Stadtrundfahrt“ weit ab des Zieles. Einmal aber blieb mir aber nichts anderes übrig, als den Guten mit einem eindeutigen „STOPP NOW!“ zum Anhalten zu bringen, ihn sodann nach hinten auf den Rücksitz zu befehlen und selbst das Steuer zu übernehmen.
Klar ist, dass der so „Beförderte“ meine unschwer erkennbaren Zweifel an seiner Ortskunde zum Anlass nahm, sofort nach Ankunft im Büro den Arbeitsplatz zu wechseln.
Es kam auch schon mal vor, dass mich der nervös hin und her rutschende Fahrer im Stau kurzerhand bat, ein Stückchen selbst weiterzufahren. Er müsse sich nämlich dringend einmal in eine Suppenküche am Straßenrand erleichtern und werde mich dann schon wieder einholen. Es klappte übrigens. Minuten später und 300 m weiter sah ich ihn im Rückspiegel im Aufholtempo heraneilen, um den fliegenden Wechsel im Cockpit des Honda einzuleiten.
Nun gut, das geht ja noch. Ein Kollege berichtete mir, dass sein treuer „Driver“ bei einer solchen Gelegenheit sein bestes Stück in eine leere Wasserflasche zwängte, die er sodann an einer Tankstelle gut gefüllt entsorgte. Gut sei gewesen, so kommentierte er sarkastisch, dass seine Bauart dies überhaupt zuließ und er nicht stets eine leere Granini-Flasche mitführen musste.
Dass die Wechselfreude von solcherlei Fachkräften durchaus beidseitig ist, versteht man umso besser, wenn man auf andere „kleine Ereignisse“ sieht. So nutzt schon mal jemand das Firmenfahrzeug mit Logo dazu, für befreundete kleine Gauner während der Pausen- und Wartezeiten hilfsbereit Hehlerware auszufahren, was einem irgendwann ein freundlicher Polizist mit leicht vorwurfsvollem Blick berichtet. Gut, dass er mir wenigstens abnahm, dass ich nicht der Chef der Bande war.
Wer also jetzt noch immer die Entscheidung, sich in Asiens Paradies einen Fahrer zu nehmen, als Feudalismus betrachtet, der verwechselt offenkundig die Fremdwörter: „Masochismus“ kommt der Wahrheit oft näher als „Feudalismus“.
Übrigens: in all den Jahren hatte ich mit Mr. Toi, einem perfekt englisch sprechenden, kleinen Mann aus Bangkok, einmal für längere Zeit einen Fahrer, der nicht nur ein wirklicher lokaler Ratgeber, sondern eher schon ein wirklicher Freund war. Ihn gebührt alle Ehre. Er verließ uns eines Tages, avancierte zum Politiker und verdient wohl heute etwas mehr als ich.
Ich überlege ernsthaft, ob ich mich bei ihm als Fahrer bewerbe.